Seite 1: Das große Ziel100 Interview...
Ziel100 geistert schon weit über ein Jahrzehnt im Nachtleben umher. Der langhaarische Bombelescher ist nicht nur Frankfurter durch und durch, er vertritt auch die elektro(nische) Sparte des Sound of Frankfurt regelmäßig in ganz Deutschland. Seine Hingabe für den Sound und die energiereichen Sets haben Ziel100 als Resident in Clubs wie z.B. das U60311 gespült und er ist mit den Wassern von Partynächten von Ibiza bis Bombay gewaschen. Grund genug, Matthias Gustke aka Ziel100 mal richtig intensiv ins Kreuzfeuer zu nehmen:
Grille: Matthias, schön das Du die Lust und die Zeit hast, um einwenig mit mir zu talken. Wobei… eigentlich ist das gar nicht so das Problem denk ich, da wir uns ja durch die Musik- und Partywelt doch schon länger kennen. Aber mit Deiner Zeit sah es bis vor kurzem noch ziemlich knapp aus. Denn abgesehen davon, dass Du seit einiger Zeit Vater geworden bist... ..wir berichteten *g*... hast Du sehr erfolgreich Deine Tour „Schlaf wenn Du kannst...“ hinter Dich gebracht. Fangen wir auch gleich mal damit an. Deine Tour ist ja mit dem Release Deiner neuen Mix-CD Hand in Hand gegangen. Wie war es, wo warst Du überall und welche Stationen sind Dir besonders in Deinen Erinnerungen geblieben?
Ziel100: Hallo Nico. Schön, dass es mit dem Talk klappt.. und nicht nur die Tour „war im weg“. Ich habe auch noch mit meiner Freundin meine wunderbare Tochter Ida auf die Welt gesetzt und ein Haus kompletto renoviert und bezogen!
Aber die diesjährige Tour war wirklich sehr schön: Nachdem ich im Jahr zuvor die „Buzz Dodger“ Tour als Liveact begangen habe – durch ganz Deutschland, Schweiz, Ibiza und Bombay – war die „Schlaf wenn du kannst“-Tour eher auf Deutschland gerichtet. Klar, ich wollte meine Mix-CD promoten. Das Tragische war allerdings: Die CD kam nicht rechtzeitig! Das hatte eine ganze Reihe von Gründen: Angefangen bei Problemen mit verschiedenen Lizensierungen bis zu dem Fakt, dass mein Label nach Amerika umgesiedelt ist und dadurch die Kommunikation „schwierig“ war. So Auge-in-Auge kann man halt doch besser dealen als über 1000e von Kilometern inklusive Zeitunterschied. Aber eigentlich war das gar nicht so schlecht, weil ich jetzt beschlossen habe, die CD in Eigenregie zu veröffentlichen – ich war förmlich gezwungen, meinen Hintern hoch zu bekommen! Die Nachfrage ist auch logischerweise nach der Tour sehr hoch und da habe ich einfach die Gunst der Stunde genutzt und werde mein eigenes Imprint starten. Mehr kann und will ich aber noch nicht verraten!
Aber um auf deine Kernfrage zurück zu kommen: Ich war in ganz Deutschland unterwegs und habe insgesamt knapp 30 Termine gespielt. Highlight war sicherlich meine erste Clubnight im hr, Basel war wieder super und Kassel überrascht mich immer wieder sehr gerne.
Es waren eigentlich nur zwei Termine, die echt schlecht gelaufen sind. Bei einem dieser zwei Termine fragte mich eine Mittvierzigerin, direkt nach meinem zweiten Track, ob ich nicht mal endlich einen „Disco-Fox“ spielen könnte… und drei Minuten später wollte der Lightjockey wissen, wann ich denn bitteschön mit „Black“ anfangen würde… und die Anlage war so eingestellt, dass der gesamte Bass ausgelöscht wurde. Als ich nach „mehr Bass“ fragte, erklärte man mir, dass das nicht gehen würde, weil sonst die Gläser im Schrank klirren würden…
Offensichtlich hatten die nicht mehr alle Tassen im Schrank – oder sie klirrten..
Grille: Oh man, erinnert mich irgendwie an einige meiner ersten Gigs *lach*. Da braucht man dann schon echt starke Nerven. Aber im Großen klingt es ja nach einer echt gelungenen Tour. Hab ich das richtig verstanden das die CD jetzt erst noch kommt? Was darf man denn erwarten, denn wenn man Deine Sets kennt dann würde ich Dich irgendwie als ElektroRocker beschreiben. Wobei das eher aufs „rocken“ bezogen ist, was man ja im wahrsten Sinne des Wortes bei Dir sehr gut kann. Oder sind dies grad die Information, welche du noch nicht verraten willst? *grins*
Ziel100: Also die CD kommt hoffentlich noch 2005. Und während ich eigentlich zunächst versucht habe, möglichst viele Tracks von möglichst vielen Artists auf die CD zu packen, wird das jetzt so laufen, dass ich maßgeblich eigene Tracks und Remixe feature. Die eigenen Sachen werden auch als „Einzeltrack“ im Audioformat auf der CD zu finden sein, während der DJ-Mix dann alle eigenen (Ziel100-)Tracks der CD plus ein paar Tracks von anderen Artists als MP3 beinhalten wird.
Musikalisch geht’s natürlich im weitesten Sinne um Electro. Vielleicht ein bisschen weniger Rock im Sinne von Gitarren, aber auf jeden Fall Musik mit Eiern… wie man das auch von meinen Gigs gewohnt ist!
Grille: Das klingt nach wirklich viel Ziel100, das wird Deine Fans freuen. Du bist ja auch einer derjenigen, wo man sehr stark den Eindruck hat, dass Du ein wahrer Selfmademen bist. Neben vielen Projekten die Du schon ins Leben gerufen hast, bekommen Deine Fans auch regelmäßig einen teils sehr persönlichen Newsletter von Dir. In wie weit hast Du bei Deinen Sachen die Fäden in der Hand und wie siehst Du den Umgang mit Deinen Fans?
Ziel100: Ganz recht: Ich mache schon alles selbst! OK, mir helfen natürlich viele Leute: Meine Freundin kümmert sich um Booking und Merchandise, mein Webmaster Carsten macht einen super Job, ich habe so was wie einen „Hof-Fotografen“ in Daniel Kummer gefunden und ich habe einen Grafiker, den ich immer „belästigen“ darf. Ich arbeite auch recht eng mit Good Groove Booking zusammen. Trotzdem laufen bei mir – als Person – alle Fäden zusammen. Wenn ich eins in den letzten 10 Jahren gelernt habe, dann ist das „Wenn du einen Job gemacht haben möchtest – mach ihn selbst!“. Ich verlasse mich äußerst ungern auf andere Leute und bin nicht bereit, die Nachteile von „Kooperationen“ zu akzeptieren. Da fahre ich schon lieber mal selbst die Karre an die Wand oder schleppe Getränke zur Bar, lege lieber 5-8 Stunden auf, als das ich mich über Andere aufrege!
Meine Fans sind mir wiederum „heilig“. Die pflege ich wirklich gerne und ich verschenke Mix-CDs, Gästeliste und alles, was so verschenkt werden kann oft. Ich rede auch mit jedem, der gerne mit mir reden möchte. Und der Newsletter macht mir jede Woche mehr Spaß: Ich bin mittlerweile bei Newsletter-Nummer 63 (seit 2004) und habe jedes Mal kribbelige Fingerkuppen, wenn ich weiß, ich darf wieder „meinen“ Leuten mailen – sind mittlerweile weit mehr als 2000 Adressaten… das wünscht sich doch jeder Autor!
DJs, die ihre Fans wiederum nicht würdigen, die den Hintereingang nutzen und aus gleichem wieder verschwinden, die den „Job“ nur als Rekrutierung für Groupies begreifen, finde ich zum Kotzen. Im Endeffekt macht doch der verstrahlte Raver, die zickige House-Braut oder der Schlipsträger die Stimmung, ermöglichen meine hohen Ausgaben für Schallplatten und bezahlen letztendlich meine Miete! Dafür bin ich allen unendlich dankbar!
Grille: Ich glaube mit dieser Einstellung sprichst Du vielen aus der Seele. Man merkt Du stehst den Dingen auch kritisch gegenüber und machst Dir viele Gedanken. Wo krankt es denn Deiner Meinung nach im Moment der Szene ? Das wir in den letzten Jahren eine massive Veränderung durchschreiten und immer noch dabei sind, ist ja nicht zu übersehen. Wie siehst Du das? Schließlich bewegst Du Dich direkt am Puls.
Ziel100: Alles war früher besser… ich kann’s nicht mehr hören! Aber wenn wir ganz ehrlich sind, früher war auch wirklich einiges viel besser.
Das fängt zum Beispiel da an, dass früher nicht jeder Dorftrottel mit zwei Reloop Plattenspielern gleich ein DJ war. Dadurch hatte sich früher einfach „viel“ auf wenige DJ fokussiert. Mittlerweile ist es so, dass sich „weniger“ auf ungeheuerlich viele (gute???…) DJ aufteilt. Folge: Alles hat sich aufgesplittet. Und dadurch landet man in einen Korsett als DJ: Wenn du nicht entweder sehr spitz spezielle (Stichwort: Schranz oder Minimal… für mich extrem engstirnige Fraktionen) oder sehr breit einfach alle (Stichwort: Disco-Callonme-Mucke) Leute ansprichst, gehst du in der Masse unter. Dadurch entwickelt sich rein gar nichts, sondern dadurch entsteht Stillstand.
Ich denke, der elektronischen Musik und deren Protagonisten fehlen einfach die Eier mal wieder ohne Rücksicht auf Verluste auf die Kacke zu hauen. Techno muß – wenn es aufregend sein will - wieder da hin, wo es angefangen hat: In illegale Locations, auf AfterParties, am besten von Donnerstag bis Montag und unter Autobahnbrücken… oder noch besser in (!) Autobahnbrücken!
Grille: In vielen Dingen scheinen wir also dahin gekommen zu sein, wo wir eigentlich nie hin wollten inkl. Popstargehabe. Deshalb ist es wohl umso mehr wichtig, dass es Leute gibt die sich durch Ihre Leidenschaft zur Musik dafür engagieren. Du bist, was dies angeht schon immer super viel aktiv gewesen. Wenn wir da beim Thema Afterparties schon sind, so fällt mir da ganz spontan *grins* Deine Afterhour „rUnterkommen“ in der
U-Bar des
U60311 ein. Du hattest damit zu seiner Zeit, als Aftern eigentlich fast ausgestorben war, eine Renaissance wieder eingeleitet. Nun hört man es wieder munkeln, dass Du erneute Pläne hast diese Kultveranstaltung endlich fortzusetzen. Was ist da dran???
Ziel100: Mit runterkommen habe ich die erste amtliche After seit Jahren gestartet und auch eine „Wiedergeburt“ eingeläutet. Mittlerweile gibt es ja drei oder vier AfterHour Reihen in Frankfurt – sehr zu meinen Vergnügen mit Mittelmaß in Zuspruch und Stimmung. rUnterkommen ist aber unweigerlich mit der
U-Bar des
U60311 verbunden. Da habe ich etwas losgetreten, was es in Berlin seit Jahren gab und Frankfurt seit genau so vielen Jahren gefehlt hatte. Ich glaube, wenn ich sehr alt werde, werde ich trotzdem von den Parties dort meinen Enkeln berichten. Was da teilweise los war, … uiuiui!
Da momentan aber ein anderer Veranstalter die
U-Bar mit einer After-Hour bespielt – du warst da ja auch schon – ist das Thema für mich gegessen. Die Umstände sind mehr als ärgerlich, aber immerhin geklärt. Ich würde gerne die Zeiten zurückholen, aber momentan scheint das nicht an diesen Ort möglich. Nicht als Ersatz, sondern aus Freude spiele ich aber ab und an auf einigen After Parties im Frankfurter Raum – eher private Sachen oder im Sommer im Freien. Da geht auch abseits vom U einiges, man mag es kaum glauben!
Grille: Wer Dir genau zuhört, der bemerkt vor allem Deine Leidenschaft für die Dinge welche Du machst. Du bist sehr mit der Musik verbunden und sie ist seit sehr langer Zeit Dein treuer Wegbegleiter, denn Du hast neben dem DJ-Dasein noch vieles andere in dem Zusammenhang gemacht. Was kannst Du da so alles mit aufzählen, worauf bist Du besonders Stolz und was hast Du in nächster Zeit noch so vor?
Ziel100: Naja, ist mir vielleicht eher peinlich, aufzuzählen, was ich alles gemacht habe. Da höre ich schon wieder die Neider lästern…
Ich bin aber ganz klar stolz darauf, dass ich Projekte entwickelt habe, die dann von vielen anderen kopiert wurden. Kopiert zu werden ist eigentlich die größte Anerkennung, die man finden kann.
Stichworte dazu sind zum Beispiel der hrXXL Ostermarsch, den ich mit erfunden und entwickelt habe und auch in nicht geringen Maß umgesetzt habe. Jetzt, wo es hrXXL und damit auch seit zwei Jahren keinen Ostermarsch mehr gibt, haben gleich drei Radio Jugendsender einen DJ-Marathon mit überwältigenden Erfolg im Programm. Wenn man bei denen anklopft und sagt „Ich habe den Ostermarsch ins leben gerufen“ stehen einen Tor und Tür weit offen – bei YouFM juckt das leider niemanden... Medien ändern sich halt schneller als Zeiten...
Andere Sache ist zum Beispiel, dass ich schon auf Electro gesetzt habe, als das noch bestenfalls unter „Chill-Out“ oder „Breakdance“ auf den kleinsten Floor gebucht wurde. 10 Jahre später spiele ich die gleiche Musik auf den Mainfloors zur Peaktime und die Leute rasten aus. Das ist für mich als Musikliebhaber eine große Anerkennung.
Momentan arbeite ich viel „schriftlich“ und schreibe für diverse Magazine. Das macht auch ungeheuerlich Spaß, weil ich gerne mit Sprache umgehe. Ich glaube, in diese Richtung möchte ich noch mehr machen. Auf meiner Homepage werde ich zunächst Kolumnen mit meiner Freundin im Zwiegespräch veröffentlichen. Wie sich das entwickelt, weiß ich noch nicht genau. Ich weiß aber genau, was sich hier schon langsam auf meiner Festplatte zusammenbraut, aber das verrate ich noch nicht. Aber vielleicht soviel: Nicht umsonst hatte ich mit der Veröffentlichung des Rezepts zu meiner legendären „After Hour Suppe“ großen Erfolg...
Grille: Na ich hoffe mal, das Du uns rechtzeitig bescheit gibt’s wenn Du da was auf Deiner HP veröffentlichst. Klingt ja echt interessant. Aber mich und unsere Leser interessiert es schon, von welchen Magazinen Du da sprichst und über welche Dinge man einen Ziel100 bisher lesen konnte. Vielleicht steigern diese Infos ja die Nachfrage *lach*.
Ziel100: Ich habe schon für ein paar Papier und auch Online Magazine geschrieben. Dummerweise hatte ich einen Superdeal mit dem DJ-Magazin, welches dann zwei Wochen später in Insolvenz gegangen ist. Momentan arbeite ich hauptsächlich für die Internetplattform www.amazona.de. Das ist das größte Musik-Technik-Online Forum mit extrem hohen Zugriffen. Für Amazona teste ich Geräte und Software. Für’n Technik-Nerd ist das natürlich das Paradies: Du bekommst die neusten Geräte vor Markteinführung und darfst sie auch noch bewerten!!! Da habe ich auch ganz aktuell einen Workshop geschrieben über „Creative DJing“.
Grille: Das klingt so als ob Du so einer dieser Technik-Nerds bist *grins*. Aber ist ja auch nicht verwunderlich. Schließlich stehst Du nicht nur sehr gern am Plattenteller, sonder bist auch gerne im Studio. Wir haben ja schon am Anfang erfahren, dass es auf Deiner neuen CD einiges von Dir geben wird. Ich erinnere mich auch noch an den Track auf Deiner Homepage damals für rUnterkommen und bei Deiner letzte Live-Tour konnte ich Dich im damaligen Space Place erleben, was wirklich sehr geil war. Wie sieht es also aus mit Ziel100 dem Produzenten? Was bist Du grad am basteln und was hast Du noch so vor als Kreativer im Studio? Vielleicht baldige Veröffentlichungen???
Ziel100: Na aber logo kommt da so einiges! Ich will dieses Jahr maßgeblich produzieren und stelle das über so ziemlich alles. Mein Studio ist jetzt wieder – nachdem es jahrelang extern war – in meinen Haus untergebracht und ich habe in den letzten zwei Monaten nur geplant, verkauft und gekauft, verkabelt und umprogrammiert. Ich produziere jetzt auf Cubase – was ziemlich neu ist für mich! – und Ableton Live und habe mein Studio schön reduziert auf die Geräte, die ich blind bedienen kann und die seit Jahren den Rumpf meines Studios gebildet haben.
So konsolidiert will ich natürlich losschlagen und habe auch schon Remix-Aufträge und plane eigene Releases. Aktuell ist auch schon der Remix für Juke B.´s „Monopol“ auf dem Markt und der Remix für Mason + Shepard’s „Bassliebe“ verdealt.
Live werde ich im ersten Halbjahr 2005 nur einmal auftreten, während der Schneewerk Rave Tour nach Livigno/Italien (Anmerkung: zum Zeitpunkt des Interviews stand der Termin noch bevor). Da wird es eine Party geben, die auf der Passhütte – 2400 Meter hoch - stattfindet. Wir fahren nachts mit den Ski-Doos auf den Gipfel und feiern so lange, bis der Lift wieder anspringt! Das bedeutet: Die Leute können mit die ganze Zeit nicht entkommen und ich werde das schamlos ausnutzen und sie via Plattenteller und Laptop non-stop beschallen...
Grille: Stichwort Laptop. Nun, dass man ein Laptop mittlerweile gut für Livegigs nutzen kann ist nichts neues. Aber wie siehst Du die Entwicklung mit so Sachen wie Final Scracht oder gar kompletten Mp3-Mix-Programme? Wie Stehst Du als DJ dazu? Ist Vinyl wirklich am sterben?
Ziel100: Also ich war von der Firma „Soundgraph“ endorsed und habe deren MP3-Vinyl Simulationstool genutzt. Ganz ehrlich? Technisch ist das verblüffend und ziemlich cool. Aber für mich isses halt doch nix. Mich nervt es, wenn ich da erst den Laptop aufbauen & hochfahren muss, am Mixer hin und her stöpseln soll und dann die ganze Nacht auch noch Angst um meinen Laptop haben muss (Stichwort: Besoffene Freunde reichen Getränke über die DJ-Theke!). Den Vorteil, seine ganze Schallplattensammlung aber dabei zu haben, ist natürlich nicht wegdiskutierbar. Aber was machste, wenn das mal nicht zu installieren geht (kein Platz für Laptop, keine Stromsteckdose mehr frei, Mixer eingebaut?) – singt man dann fröhliche Kinderlieder? Also geht’s ja so oder nicht ganz ohne Vinyl. Alle pros und contras kann man bei meinen wirklich intensiven Test des D-Vinyls auf www.amazona.de mal nachlesen (ist mittlerweile nur noch im Archiv zu finden!).
Ich persönlich aber habe mich gegen Final Scratch und Konsorten entschlossen. Wie gesagt: Zu viele Kabel sind nicht Jägermeister kompatibel. Eine andere Sache sind die CD-Player, die jetzt mit aktiven, drehenden Plattenteller daher kommen. In den Technics CD-Player habe ich mich schon verguckt. Da passen auch CDs mit MP3s rein – du hast also Zugriff auf 700 MB Mp3s, was wiederum in etwa 100 Lieder pro CD entspricht. Wenn die Dinger günstiger werden – ich sag mal, so teuer wie ein Plattenspieler – dann brechen die der Vinyl Scheibe erstmal das Genick an. Ich würde dann zumindest anfangen auch mit CDs aufzulegen. Teilweise nutze ich schon heute meinen Laptop mit Traktor und einen USB Controller mit Crossfader. Funky ist das aber nicht. Ich finde, es hat wesentlich mehr „Sex“, wenn man mit echten Vinyl auflegt.
Grille: Vinyl hat definitiv mehr „Sex“ *g*. Mittlerweile ist es ja so, dass nach dem Verfluchen der Mp3´s nun die Industrie, nach dem sie den Zug verpasst haben, langsam anfängt auszuschlafen und mehr und mehr auf dieses Medium bei der Vermarktung setzt. Allerdings treibt dieser Fortschritt auch ungeahnte Blüten. Auf der einen Seite entstehen immer mehr Online-Musik-Shops zum Downloaden, aber es gibt da immer noch, dass allseits beliebte nicht immer ganz „legale“ Filesharing, wo mittlerweile versucht wird mit drastischen Strafen abzuschrecken. Die verworrenen Regelungen um Privatkopien und Kopierschutzmechanismen geben auch noch Ihres dazu. Eigentlich ist Musik etwas geworden womit man als Privatmann schnell zum „Verbrecher“ werden kann, auch ohne es zu wollen. Auf der anderen Seite sind die Charts voll von „Genmanipulierten“ Künstlern und Act´s, mit Klingeltönen werden Millionen verdient und die großen Musikkonzerne steigen immer mehr zu Monopolen auf. Wie siehst Du diese Entwicklung, was denkst Du kommt noch auf uns zu, was bringt die Zukunft??? Wird Musik ein Luxusgut?
Ziel100: Luxusgut? Wie kommst denn darauf? Musik und die Verfügbarkeit ist doch extrem demokratisiert worden! Noch vor wenigen Jahren war es teuer und schwer aktuelle Musik „zu haben“. Früher warste der King in der Schule, wenn du die neue Run DMC Platte hattest und hast nach der Schule deine 5 Freunde zum „Musik hören“ eingeladen – heute brennst du die neue Daft Punk 3 Wochen vor VÖ gleich 20x in einer Stunde und die ganze Schule hat am nächsten Morgen die Mucke auf dem IPod. Dadurch verkommt leider allerdings dieses Gefühl, was ich damals noch hatte, als ich die neue Platte aufgelegt habe, mich eine Stunde hingesetzt habe, die Musik und das Cover studiert habe und das „Hören“ richtig zelebriert wurde. Auch das 3 x die Woche zum Importplattenladen laufen um die neusten Platten wenigstens zu checken, ist ja schon länger gestorben.
Dumm ist halt nur, das der urheberrechtliche Künstler durch illegales kopieren keinen Pfennig verdient und Musikmachen zur Liebelei verkommt und man davon nicht mehr leben kann. Dadurch leidet zwangsläufig auf lange Sicht die Qualität.
Ich empfinde auch durch die sinkenden Sales, die nicht Berücksichtigung von Downloads und die nicht gestaffelte Preispolitik, einen Laden wie die GEMA mittlerweile als überflüssig für Leute wie mich. Aber das ist ein anderes, heikles Thema.
In MP3 und Filesharing liegen aber auch natürlich große Möglichkeiten. Check mal z.B. Emule: Da sind alle Radioshows, die ich in den letzten 3-4 Jahren gespielt habe und viele Mixe von mir, die ich mal in einer Disco verschenkt habe, Online. Da sind Sachen und Sets zu haben, die ich mir runter geladen habe, weil ich sie selbst nicht hatte! Das ist schon Wahnsinn: Das Archiv meines Schaffens Online und für jeden zu haben! Ich denke über Emule erreicht meine Musik Leute, die mich sonst nicht kennen würden. Also unterstütze ich es soweit, dass ich keinen dafür anscheissen würde.
Der Mix-CD, Compilation und auch der Maxi-CD Markt ist dadurch als solches natürlich eingebrochen. Massiv. Da kannst du mittlerweile fast kein Geld mehr verdienen. So was wie die Bravo-Hits oder Kuschelrock – ein wirtschaftliches Schwergewicht vor Jahren! – interessiert kaum noch jemanden, weil man sich die Lieder einzeln viel schneller, individueller und billiger runtergeladen hat.
Der Vinylmarkt hingegen ist relativ stabil. Ok, die magische 1000ter Grenze (mit 1000 verkauften Vinyls kannst du die Pressung, Promo, Vertrieb, Label und Künstler angemessen bezahlen), die man noch vor drei Jahren blind und mit durchschnittlichen Produktionen erreicht hat, ist jetzt schon fast ein Erfolg! Das führt aber unweigerlich zu einer höheren Messlatte: Hirnloses rumgeschranze und langweiligste Disco-house-filter-Orgien kommen immer seltener raus, weil einfach niemand mehr Geld dahinter setzt. Du bekommst als Künstler dann natürlich wesentlich mehr Erfolgsdruck ab und bist zuweilen gezwungen, Kompromisse einzugehen. Und durch verringerten Output kann man auch als DJ nicht mehr unter endlos vielen Platten aussuchen.
Es kommen immer mehr Konsenz-Platten, die alle Leute spielen (können). Da schließt sich dann der Kreis: Der zukünftige DJ wird sicherlich nicht nur, aber auch mit Vinyls auflegen und mit einen weiteren Abspielgerät (Laptop, MP3 Player, CD Player) eigene oder noch nicht veröffentlichte oder nur auf MP3 veröffentlichte Lieder zurückgreifen, um seinen Set Gesicht zu geben. Übrigens eine Sache, die in der Drum’n’Bass Scene schon immer so war: Das, was ich beschrieben habe, ist im Endeffekt nichts anderes, als das Dubplate-gewichse, was sich die Engländer schon seit Jahren geben. Da gibt es gehypte Tracks, die nur zwei oder drei DJs haben. Jeder kennt sie, jeder weiß, wer sie gemacht hat und trotzdem gibt es halt nur die drei Dubplates. Die Leute gehen dann halt nur noch zu den Djs, die halt eben diese, exklusiven Tracks haben. Ich bin gespannt, wann es in der Technoscene auch soweit ist!
Grille: Also ich verfallen ab und an auch diesen Wahn… was hab ich suchen müssen, um die Lexicon Avenue RMX von Depeche Mode „Only when i lose myself“ zu bekommen. Mittlerweile ist die schon wieder auf nem anderen Bootleg rausgekommen, damals 2003 aber kaum zu bekommen. Wenn wir schon bei Depeche Mode sind, was hört denn ein Ziel100 so zu Hause? In deinen Sets klingt sehr hofft auch Deine lange Musikleidenschaft durch. Was hörst Du so gerne, wo liegen deine Wurzeln und was sind Deine Favoriten?
Ziel100: Also ich habe jahrelang nur Rap gehört. Keinen HipHop, sondern so die alte Schule um Public Enemy, KRS One, Run DMC, 2Live Crew oder Big Daddy Kane. Da liegen auch meine DJ Wurzeln, da habe ich angefangen mich für’s DJing oder sogar eher für’s scratchen zu interessieren. 1988 habe ich mir dann auch Technics zugelegt, mitten in der großen Rap Zeit. Meine musikalischen „Grundwurzeln“ liegen aber eher in den 80ern, bei Italo Disco und NDW. Der damalige Freund meiner Schwester war ein ganz cooler, der sich schon damals Maxis leisten konnte. Der hat sie mir damals aufgenommen und so hatte ich schon ganz früh die derbsten Scheiben zu Hause auf Kassette. So 80ies Musik höre ich zu Hause immer noch gern. Ich habe auch viel für Gitarren übrig. So die Ecke Beatsteaks, White Stripes oder Blur. Gerne auch mal punkiger, dann aber eher traditionell a la Iggy Pop. Und so Gruppen wie The Streets oder Underworld, die wirklich etwas ausdrücken können, liebe ich. Und die Leidenschaft für Kraftwerk und Depeche Mode ist ungebrochen. Die Alben von beiden Gruppen sind bei mir seit Jahren auf Heavy Rotation und werden es auch noch in langer Zeit sein.
Grille: Wow, wie ich sehe sind unsere Wurzeln sehr nah bei einander. Ich hab auch diesen „Hardcore-Rap“ wie ich ihn nannte gehört. „Me so horny“ von 2LiveCrew spiel ich heute noch ab und an *g*. Mir fällt gerade ein, dass ich auf Deiner Clubnight jemanden kennen gelernt habe, welcher einen Film über Dich und Karotte am drehen war. Was ist das für ne Geschichte und wie weit ist dieser Film??
Ziel100: Naja, ein Film ist das nicht, sondern eine Reportage. Daniel und Andre – zwei Freunde von mir, die schon lange für RTL und ZDF arbeiten – hatten mal die Idee, eine Reportage in Eigenregie zu drehen. Da haben wir zusammen rumgesponnen und sind auf die Idee gekommen, eine DJ Reportage zu machen. Nach nochmaligen rumspinnen haben wir uns dazu entschieden, dass ganze thematisch an den DJ Tage und Nächte - so ist auch der Name der Reportage – aufzuhängen. Wir wollten damit zeigen, wie unterschiedlich die Menschen sein können, die im Endeffekt das Gleiche in der Nacht machen. Ich bin ja tagsüber eher so der klein karierte Familienvater aus’m Reihenhäuschen. Da hat sich dann schnell die Idee ergeben, als Konterpart den Karotte zu integrieren, der seine Freizeit und sein Leben doch ein wenig anders gestaltet wie ich. Letztendlich verkörpern wir aber den gleichen Typ DJ, der Luftgitarre spielend die ganze Nacht alles gibt, was geht. Ich glaube, da konnte man schon schöne Szenen einfangen und gegenüber stellen.
Das ganze soll noch dieses Jahr ins Fernsehen, der Grobschnitt ist auch schon fertig. Ich glaube, es hakt gerade an den Off-Sprecher, aber ich denke, das wird nicht mehr lange brauchen, bis es ausgestrahlt wird. Einen Teaser kann man sich auch schon bei mir auf der Homepage runterladen (
www.ziel100.de -> Hotnews -> DJ-tage.mov)
Grille: Doch kommen wir zum Schluss noch mal weg von der Musik und kommen auf Deine Familie zu sprechen. Denn Du bist letztes Jahr Vater geworden und hast nun ein süßes Baby100. Mal ganz ehrlich wie hat sich Dein Leben mit der Musik dadurch verändert?
Ziel100: Na ja, zu behaupten es hätte sich gar nichts geändert, wäre natürlich eine Lüge. Aber im Endeffekt ist alles besser geworden: Ich habe eine wirklich entzückende Tochter, die mir von Tag zu Tag mehr bringt und mich mehr freut, aber dadurch habe ich natürlich weniger Freizeit. So wurde ich „gezwungen“ meinen Tag besser zu strukturieren. Früher war’s egal, ob ich eine neue CD um 11 Uhr oder 22 Uhr aufgenommen habe und ich habe diese Freiheit auch zum Leidwesen meiner Nachbarn voll ausgenutzt. Mittlerweile aber verläuft mein Tag und sogar die ganze Woche nach einen Plan. Ich überlege sehr genau, was ich wann machen muss, was ich wann machen möchte und was ich halt nicht mehr machen kann. Dadurch empfinde ich mein Leben mit meiner Freundin und meiner Tochter als ziemlich effektiv. Ich habe gleichzeitig aber nicht das Gefühl, dass irgendwas zu kurz kommt. Prioritäten verschieben sich natürlich im Laufe der Zeit, aber ich versuche meinen Bedürfnissen gerecht zu werden.
Ein schlechtes Gewissen muss ich auch nicht haben, wenn ich am Sonntag Vormittag erst zu meiner Familie zurückkehre, weil ich ja weiß, dass ich danach wieder eine ganze Woche Zeit habe, um mich den familiären Aspekten zuzuwenden. Es läuft also alles ganz locker und so, wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen erwünscht habe.
Es ist schon echt cool: Ich kann machen was ich will und werde trotzdem meiner Familie gerecht, die mich aber gerechterweise auch machen lässt, was ich machen will… dafür danke ich Dani und Ida sehr!
Grille: Vielen dank an dieser Stelle an Dich Matthias für diese wirklich interessante Interview. Wir hatten zwar etwas gebraucht es fertig zustellen so über E-Mail *g* aber ich finde es hat sich wirklich gelohnt. Ich hoffe, dass vor allem Deine Fans Ihre Freude damit haben werden. In diesem Sinne vielen Dank noch mal und Dir sowie Deiner Familie alles weitere Gute.
Mehr Informationen zu Ziel100 (z.B. seine Biografie, Dates und so weiter) findet ihr auf seiner Webseite.